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  • Die Verwendung der Archäologie in der Mediävistik

    Danielle ARRIBET-DEROIN, 6. März 2013

    Danielle ARRIBET-DEROIN

    (Maître de conférences an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne)

    Übersetzerin: Anne Holtmann-Mares


    Die Frage könnte polemisch erscheinen, zumindest ist sie in ihrer Formulierung „die Verwendung von …” provokativ. Sie weckt (unter Archäologen) schlechte Erinnerungen an jene vergangene Zeiten, in denen die Archäologie unter den Hilfswissenschaften der Geschichtswissenschaft rangierte, neben der Diplomatik, der Paläographie und der Siegelkunde. In diesem Sinn lieferte die Archäologie als gelehrte Disziplin von Spezialisten für Objekte „Monumente“ der Vergangenheit (jedweder Größe), die der Historiker im besten Fall interpretierte und derer er sich überdies bediente, um seinen eigenen Diskurs zu illustrieren. Was die Monumente der Mittelalterarchäologie betrifft, so zählten sie zur Kunstgeschichte.
    Das Mittelalter stellt einen einzigartigen Ort der Begegnung zwischen Geschichte und Archäologie dar. Einerseits ist das Fach Archäologie eng mit den Anfängen der Menschheit verbunden, denn einzig diese Herangehensweise erlaubt es, die Vergangenheit der Menschen vor der Schriftlichkeit zu erforschen, indem man die einzigen Quellen unseres Wissens, die bis heute überlieferten materiellen Überreste ihrer Aktivitäten, sammelt, identifiziert und interpretiert. In der Tradition dieser Wissenschaft sticht weiterhin die Frage nach dem Wesen der „Quelle“ des Wissens über die Vergangenheit hervor, zumindest in den Fachgebietseinteilungen: Je nachdem, ob die Vergangenheit durch schriftliche Zeugnisse dokumentiert ist oder nicht, unterscheidet man auch heute noch eine Archäologie der prähistorischen und eine Archäologie der historischen Periode, selbst wenn zwei „chrono-kulturelle Bereiche“ streng genommen zeitgleich sind (beispielsweise das mittelalterliche Europa und das mittelalterliche Afrika). Andererseits bewahrt die mittelalterliche Geschichte, einer der Pfeiler der École historique française und eine Periode, die Gelehrsamkeit verlangt und unter Studierenden als schwer zugänglich gilt, eine Lehre, die stark vom Einüben der Formen des Aufsatzes und des Kommentars zumeist schriftlicher Quellen geprägt ist. Diese Übungen werden insbesondere anlässlich des „Meisterstücks“ des Mittelalterhistorikers, der Agrégation, durchgeführt. Die Mediävistik bewahrt eine sehr literarische Tradition, und dies sogar in den neuesten Entwicklungen des Fachs.
    Für die früheste Periode des Mittelalters hatte die Archäologie immer einen legitimen Stellenwert: Altertümer der Merowingerzeit wurden schon immer im Nationalen Antikenmuseum (heute Museum für nationale Archäologie) in Saint-Germain-en-Laye gesammelt. Schriftliche Zeugnisse sind aus dieser Zeit nur sehr schwach vertreten, Grabmäler von mehr oder weniger namhaften Verstorbenen lieferten zahlreiche und schöne Ausstellungsgegenstände. Danach übernahm die Geschichtswissenschaft den Staffelstab. Die Karten wurden neu gemischt, seit sich die Mittelalter-Archäologie nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich eigenständig entwickelte. Die Pioniere waren ausgebildete Historiker, etwa Michel de Boüard oder Jean-Marie Pesez: In Frankreich ist die Mittelalter-Archäologie eine Erweiterung der mittelalterlichen Geschichte und nicht der klassischen Archäologie. Welch glückliche Epoche, als sich verschiedene Mittelalterhistoriker mit dem Enthusiasmus von Neubekehrten den archäologischen Quellen zuwandten, deren Überfluss es im Gegensatz zur Begrenztheit der schriftlichen Dokumente größtenteils noch zu erforschen galt, und die Aufschlüsse über Probleme gaben, die Schriftstücke nicht zufriedenstellend dokumentierten. Die Archäologie schien geeignet, den historischen Diskurs grundlegend zu erneuern.
    Inzwischen hat sich zwischen Mittelalter-Historikern und -Archäologen ein Graben gebildet bzw. es hat sich ein solcher nicht geschlossen. Bedingt ist er durch drei interagierende Aspekte: ein unterschiedliches fachliches Selbstverständnis, unterschiedliche, komplexer werdende Methoden und Unterschiede bei der Spezialisierung. Denn diejenigen, die im Freien arbeiten und die Aussagekraft von Ausgrabungsgegenständen ermitteln, haben nicht denselben Stellenwert wie jene, die Archive auswerten, sind nicht von denselben geisteswissenschaftlichen bzw. humanistischen Traditionen geprägt.
    In welchem Maß erlauben die Definition von Geschichte und jene von Archäologie den Dialog von gleich zu gleich, einen gemeinsamen Diskurs oder die Integration des einen Fachs in das andere? Sind ihre Untersuchungsgegenstände identisch? Diese Fragen werden im Folgenden – ohne eine erneute grundsätzliche Definition beider Fächer – aus epistemologischem Blickwinkel beleuchtet.
    In dem Maß, in dem die für die mittelalterliche Epoche ausgebildeten Archäologen ihre Untersuchungen insbesondere im Bereich der bestandserhaltenden Archäologie stark ausweiteten, erschienen ihnen die klassischen historischen Frageraster unangemessen und einengend. In räumlicher Hinsicht (vgl. „Die Verwendung des Raums…“) hatte die Archäologie Mühe, das incastellamento im Gelände nachzuvollziehen, die traditionelle Vorstellung der „Geburt des Dorfes“ mit den örtlichen Befunden in Einklang zu bringen oder die Wohnverhältnisse der Eliten mit der Motte oder der Burg zur Deckung zu bringen. Dies brachte einige Archäologen dazu, die Suche nach den in den Texten genannten Strukturen und Wohnformen im Gelände zu verweigern; sie lehnten es ebenfalls ab, sich von den aus den schriftlichen Quellen herrührenden Problemen leiten zu lassen. Sie forderten die Erarbeitung eines von der Textgeschichte unabhängigen eigenen Diskurses. Innerhalb dieser Logik scheint das Wort „Komplementarität“ der Quellen regelrecht zum Schimpfwort mutiert zu sein, selbst dann, wenn der Forschungsgegenstand identisch ist. Zur selben Zeit führte die Öffnung hin zu einer Archäologie der jüngsten Zeit und zu einer von der Geschichtswissenschaft getrennten Zielrichtung, wie sie die Herausgeber der Zeitschrift Ramage vorschlugen, zu der Frage nach den Grenzen und der Definition von Archäologie, und dies auf entscheidende Weise: Denn wenn der Mittelalterhistoriker inzwischen die Existenz der Archäologie und ihren gelegentlichen Nutzen für seine eigene Recherche kennt, so weiß dies der Neuzeithistoriker (noch) nicht.
    Will man sich nicht weiter in epistemologische Fragestellungen vertiefen und sich stattdessen dem Problem von geschichtswissenschaftlicher Seite nähern, wie es die Rubrik „Die Verwendung von…“ vorgibt, so stellt sich die grundsätzliche Frage, ob sich die Geschichtswissenschaft für die konkreten und materiellen Aspekte des Lebens der mittelalterlichen Menschen interessieren muss oder nicht.
    Heißt, die Frage zu stellen, nicht gleichzeitig, sie zu beantworten? Auf einer grundlegenden Ebene trifft man auf Zwänge bei der Geschwindigkeit der Ortsveränderung und der Informationsvermittlung, den Zwang zur Nachtarbeit und der Unterworfenheit des Körpers unter – heutzutage weniger bedrohliche – Einschränkungen und Gefahren sowie im intellektuellen Bereich auf den Zwang zur Verwendung von Pergament oder Papier, beim metaphorischen Rückgriff auf vertraute Muster in der Ausgestaltung von Diskursen usw.
    Grundlegender gesprochen denken wir, dass die Fähigkeit des Menschen, die seinen Lebensrahmen bildende materielle Welt zu organisieren, der Forschung wert ist: Nutzung der Umweltressourcen, Raumorganisation, Wohnungsbau, Herstellung von Objekten und Werkzeugen, Handlungen, die körperliche Bedürfnisse befriedigen und mit bestimmten Vorstellungen über die Beziehungen der Menschen untereinander und zum Jenseits einhergehen. Diese Arten, in der materiellen Welt zu sein, prägen die Mentalitäten und die Weltauffassung.
    Wenn politische, wirtschaftliche, soziale, religiöse und intellektuelle Probleme auch in der Materialität der Dinge gelesen werden können, wenn die „technische“ Fähigkeit als menschliche Fähigkeit par excellence anerkannt ist, wenn die von den Historikern untersuchten mittelalterlichen Männer und Frauen menschliche Lebewesen sind, dann muss die „Archäologie“ als privilegierter Partner der „Geschichte“ im Zentrum der Mediävistik auftreten; ja, mehr noch als ein Partner, als ein Bestandteil, den kein Mediävist ignorieren darf.


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  • Bibliographie

    Danielle ARRIBET-DEROIN, 6. März 2013

    Die Verwendung der Archäologie

    - BOÜARD, Michel de, Manuel d’archéologie médiévale, Paris 1975.
    - BRUNEAU, Philippe / BALUT, Pierre-Yves, „Positions“, in: Ramage 1 (1982), S. 3-33.
    - BURNOUF, Joëlle / ARRIBET-DEROIN, Danielle / DESACHY, Bruno, JOURNOT, Florence / NISSEN-JAUBERT, Anne, Manuel d’archéologie médiévale et moderne, Paris 2009.
    - CARTRON, Isabelle / BOURGEOIS, Luc, „Archéologie et histoire du Moyen Âge en France: du dialogue entre disciplines aux pratiques universitaires“, in: Être historien du Moyen Âge au XXIe siècle. Actes du 38e congrès de la Société des historiens médiévistes de l’enseignement supérieur public, Île-de-France 2007, Paris 2008, S. 133-148.
    - PESEZ, Jean-Marie, „Archéologues et historiens“, in: Mélanges d’archéologie et d’histoire médiévale en l’honneur du Doyen Michel de Boüard, Genf, Paris 1982, S. 295-308.


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