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  • Über die Verwendung der Sakralität in der Mittelalterforschung

    Dominique IOGNA-PRAT, 23. Januar 2012 | 12. Oktober 2010

    Dominique IOGNA-PRAT

    (Directeur de recherche im CNRS - LAMOP)


    Wenn sich der Mediävist des Begriffs der Sakralität bedienen möchte, wird er dazu gezwungen, in den Bereich der Entstehung der Geistes- und Sozialwissenschaften einzutauchen, welche dieses Substantiv eingeführt haben, nachdem es über Jahrhunderte hinweg nur als Attribut benutzt wurde und im Mittelalter als solches neu entstanden ist. Dieser Begriff ist somit problematisch, weil es sich dabei um einen mittelalterlichen Begriff, aber zugleich auch um eine Kategorie der gegenwärtigen Analyse handelt, deren unterschiedliche Bedeutungen alle Sinnwidrigkeiten begünstigen.

    Wenn man in die Zeit zurückgehen möchte, in der das „Sakrale“ als Attribut verwendet wurde, wird man eine lange Entwicklung erkennen, die sich von den Anfängen des Begriffs bei den Römern bis zu dessen Übernahme durch die mittelalterliche Kirche erstreckt. „Sakral“ (sacer) und „heilig“ (sanctus) haben gemeinsame Wurzeln (sancio). Das traditionelle römische Recht nähert diesen das religiös konnotierte Attribut an, um Kombinationsmöglichkeiten zu ermöglichen, die es erlauben, Gegenstände, die dem menschlichen oder göttlichen Recht unterstehen, zu unterscheiden und auf drei verschiedene Weisen ausgedrückt werden können: „sakral“, „heilig“, „religiös“. Im Gegensatz zu dem, was man lange Zeit auf der Grundlage der Thesen Georges Dumézils, die sich auf den Archaismus des dreigeteilten Schemas der Römer beziehen, geglaubt hat, werden die Attribute „sakral“, „heilig“ und „religiös“ (in dieser oder einer anderen Reihenfolge) erst in späterer Zeit, nicht vor dem 2. Jahrhundert nach Christus, kombiniert. Im Bereich der „göttlichen Dinge“ (res divini iuris) unterscheiden die älteren römischen Priester die sacra, die rituell den Göttern geweiht wurden, und die religiosa, die sich auf die Manen, die Hausgötter, denen die römischen Familien ihre Toten anvertrauten. „Heilig“ gehört zu einer anderen Kategorie. Nach dem Zivilrecht bezeichnet sanctus all das, was dem menschlichen Zugriff verwehrt war und als solches Sanktionen (sancire) unterworfen war. Erst in der Folge späterer Entwicklungen wird „heilig“ in den Rang der göttlichen Dinge erhoben. Bevor aber im 11. und 12. Jahrhundert mit dem Wiederaufkommen des römischen Rechts die Kombinationsmöglichkeit von „sakral“, „heilig“ und „religiös“ wieder gefunden wurde, haben sich im christlichen Abendland das Attribut „heilig“ und dessen ganzes semantisches Feld beträchtlich verändert. Dabei wurden die Grenzen zwischen den Bedeutungen von „sakral“ und „heilig“ undeutlicher (was besonders heikel ist beim undifferenzierten Gebrauch von „heiligem Leib“ und „sakralem Leib“ bei der Bezeichnung von Reliquien) und es entwickelte sich rasch eine ganze Reihe von Derivaten aus sacer und sanctus (sacrarium, sanctuarium, sanctificare, consecrare, sacramentum,...). Dies geschah in dem Maße, wie sich die Kirche, die sich selbst zur Instanz des „Heiligen“ ernannt hat und als Institution mit einem totalitären Anspruch, das „Heilige macht“ und in dem sie weiht, als eine wahres Netzwerk der Gesellschaft auftritt. Diese Institution drückt diesem Attribut im Mittelalter drei Hauptunterscheidungsmerkmale auf (J.C. Schmitt): 1. ist mit „heilig“ gemeint, was durch die Vermittlung der Kirche geweiht wurde, 2. wird mit „heilig“ das Attribut „geweiht“ verstärkt; Im Gegensatz zur unscharfen abgegrenzten Sakralität des antiken Pantheismus, konzentriert sich „heilig“ auf die Zeiten, Orte und Menschen, die einen „Raum außerhalb des Raums“ schaffen (A. Guerreau), und erlaubt es, die gegensätzlichen Sphären des Heiligen und des Profanen zu unterscheiden, die Grenzen der Zugehörigkeit zu einer christlichen Gesellschaft, die mit der sakramentalen Gemeinschaft vermischt war, klar zu ziehen und im konkreten Raum, die Bereiche dieser Gemeinschaft abzustecken (Kirche, Friedhof, Pfarrei,...), so dass daraus stark geprägte räumliche Einteilungen wurden (M. Lauwers). 3. wird das, was geweiht wurde, auf einer Werteskala hierarchisiert, die nicht nur erlaubt zu unterscheiden, was mehr oder weniger sakral ist, sondern auch, die Polarisierung, die durch das, was sakral ist, zustande kommt, und sogar den Übergang von der einen Kategorie zur anderen (vom Profanen zum Sakralen) zu definieren. Das Christentum beinhaltet schließlich den Glauben an einen Gott, der Mensch wurde und fußt auf der Vorstellung, dass die Menschheit von ihren Sünden erlöst werden kann. Deshalb legte die Kirche so großen Wert darauf, Menschen und Dinge durch die Weihe zu verändern.
    Die Abweichung dieser mittelalterlichen Verwendung von der gegenwärtigen Verwendung als Konzept drückt sich sowohl durch die Verwendung als Substantiv, als durch eine beinahe Umdrehung der Semantik aus. Der banalisierte Gebrauch des Substantivs „le sacré“ bei den französischen Historikern geht spätestens auf die Veröffentlichung des Werks Du sacré (1987) von Alphonse Dupront zurück. Als Vertreter eines phänomenologischen Ansatzes in der Geschichtswissenschaft verkörpert Dupront auf besondere Weise das Paradoxon, demzufolge „das Sakrale“ das Ergebnis der Säkularisierung des Denkens sei. Die moderne Vernunft habe aus „dem Heiligen die neue transhistorische und transkulturelle Form der Transzendenz“ gemacht (M. Carrier). Phänomenologen ordnen das „Sakrale“ dem Mysteriösen, der absoluten Energie, dem „Völlig Anderen“ (wie es Rudolf Otto 1917 in seinem Werk Das Heilige steht, welches im Französischen als Le sacré übersetzt wurde) zu, dem sich der Mensch an „den Orten nähern kann, die der Schöpferkraft zugedacht waren“. Etwas von dieser sakralen Lebenskraft findet man noch im ethnologischen Bereich, zum Beispiel in einer „spontanéité sauvage“, der Roger Bastide besonders angetan war, oder im „sacré littéraire“ eines Georges Bataille innerhalb der Grenzen dessen, was für den Menschen begreifbar ist und sogar in der Frage nach der tierischen Seite des Menschen, die den Postmodernismus beschäftigte (D. Hawley).

    Der soziologischen Tradition selbst zugrunde liegend, hat das „Sakrale“ der Soziologen einen noch viel stärkeren Einfluss. Es stellt eine Art Gleichgewicht zwischen der religiösen Transzendenz der „traditionellen“ heteronomen Gesellschaften und der sozialen Immanenz der modernen autonomen Gesellschaften her. Henri Hubert und Marcel Mauss bekräftigen dies folgendermaßen: „Unserer Meinung nach wird alles als „sakral“ wahrgenommen, was für die Gruppe und deren Mitglieder die Gesellschaft kennzeichnet. Wenn die Götter einer nach dem andern aus dem Tempel heraus gehen und profan werden, sehen wir dagegen, wie Menschliches und Soziales wie zum Beispiel die Heimat, der Besitz, die Arbeit, die menschliche Person dort nacheinander eintreten.“ Diese andere moderne Art, das „Sakrale“ zu erfinden, ist ebenfalls transhistorisch und transkulturell, da es die Sakralisierung der Gesellschaft als einen „Normalzustand der Dinge“ (M. Carrier) ansieht. Das „Heilige“ fungiert zudem als Grundlage für die Ordnung, die zugleich in ihrer symbolischen Funktion wahrgenommen wird, nämlich die Gemeinschaft zu formen aber auch zu maßregeln.
    Der Mediävist muss also in doppelter Hinsicht eine kritische Haltung einnehmen: Es geht für ihn darum, die mittelalterliche Gesellschaft verständlich zu machen, indem er gleichzeitig sein eigenes Verständnis des „Sakralen“ berücksichtigt und seine nominalistische und stark in soziologischen Traditionen verwurzelte Neigung in Frage stellt. Diese Art der Sakralisierung der Gesellschaft kommt in der Tat nicht umhin, die Scholastik und die nominalistische Bezeichnung der sozialen Einheiten (die Gruppe, die Zunft, die Stadt, die Gemeinschaft,....) als „zweiträngige Substanzen“ (Geschlecht, Art, Kategorie, Klasse) in Erinnerung zu rufen. Diese werden, im Gegensatz zur „Wirklichkeit“ der Personen oder der „erstrangigen Substanzen“ (besondere Personen, wie Petrus oder Paulus), als reine sprachliche Konventionen, als allgemeine und arbiträre Begriffe angesehen, die ihre Grundlage und ihre Existenzberechtigung im empirischen Bereich finden, für sich genommen aber nichts bedeuten. In ihrer Eigenschaft als „zweiträngige Substanzen“ ist die Gesellschaft frei von jeglichem ontologischen Bezug. Sie ist in gewisser Weise entsakralisiert, versachtlicht, zu einer unabhängigen und wirklich bedeutenden Sphäre geworden. Man versteht daher, inwiefern die realistische Annäherung an die gesellschaftlichen Einheiten (Gruppe etc.), die in den Stand der „substances premières“ erhoben wurden, eine sakralisierende Praxis darstellt, und somit einem sozial-historischen Ansatz widerspricht.


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  • Bibliographie

    Dominique IOGNA-PRAT, 23. Januar 2012 | 12. Oktober 2010

    Über die Verwendung der Sakralität

    - CARRIER Michel, Penser le sacré. Les sciences humaines et l’invention du sacré, Montréal, Liber, 2005.
    - DUPRONT Alphonse, Du sacré, Paris, Gallimard, 1987 (Bibliothèque des Histoires).
    - GUERREAU Alain, « Il significato dei luoghi nell’Occidente medievale : struttura e dinamica di uno “spazio” specifico », in : E. Castelnuevo und G. Sergi (Hgg.), Arti e storia nel Medioevo. I, (Tempi, Spazi, Istituzioni), Turin, 2002, S. 201-239.
    - HAWLEY Daniel, L’œuvre insolite de Georges Bataille. Une hiérophanie moderne, Genf und Paris, Slatkine et Champion, 1978.
    - HUBERT Henri und MAUSS Marcel, « Introduction à l’analyse de quelques phénomènes religieux », Revue d’histoire des religions, 58 (1906), S. 163-203 [zitiert nach MAUSS Marcel, Œuvres. I, Les fonctions sociales du sacré, Paris, Minuit, 1968, S. 3-39].
    - LAUWERS Michel, « Le cimetière dans le Moyen Âge latin : lieu sacré, lieu saint et religieux », Annales HSS, 1999/5, S. 1047-1072.
    - SCHMITT Jean-Claude, « La notion de sacré et son application à l’histoire du christianisme médiéval », Cahiers du Centre de recherches historiques, 9 (1992), S. 19-29 [Ders., Le corps, les rites, les rêves, le temps. Essais d’anthropologie médiévale, Paris, Gallimard, 2001, S. 42-52 (Bibliothèque des Histoires)].
    - TAROT Camille, Le symbolique et le sacré. Théories de la religion, Paris, La Découverte, 2008 (Textes à l’appui).


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  • Notes et adresses des liens référencés

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