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... mozarabe

  • Über die Verwendung der Bezeichnung „mozarabisch“ in der mittelalterlichen Geschichte

    Cyrille AILLET, 1. Oktober 2012

    Cyrille AILLET

    (Maître de Conférences, Université Lyon 2 – CIHAM (UMR 5648))

    Übersetzer: Harald Sellner


    Bei dem Eintrag „mozarabisch“ lässt uns der Petit Robert von 2012 in die romantische Vorstellung Spaniens eintauchen, jenes Raums, der lange Zeit als das exotische Finisterra der mittelalterlichen Geschichte galt und durch seine islamische Vergangenheit das Zeichen der Andersartigkeit trägt: „Ein spanischer Christ, der zur Zeit der Besetzung Spaniens durch die Araber im Gegenzug für die Treuverpflichtung gegenüber einem maurischen Oberen das Recht besaß, seinen Glauben zu praktizieren.“ Gemeinhin bezeichnet man so die christliche Bevölkerung in von Muslimen eroberten Gebieten (al-Andalus), die von einem Schutzstatus profitiert (dhimma), der den Nicht-Muslimen kollektiv und nicht individuell gewährt wird. Die Situation dieser christlichen dhimmis ist das genaue Gegenteil zu jener der später anzutreffenden „mudejars“, Muslimen, die unter den Schutz der christlichen Könige gestellt wurden. Niemandem wird entgangen sein, dass das Wörterbuch von einer ideologischen Sicht geprägt ist, die in Wirklichkeit bis in die 1980er Jahre einen zentralen Platz in der spanischen Historiographie eingenommen hat. Die „Mozaraber“ verkörpern dabei eine Form vorübergehender und unfreiwilliger Unterwerfung des „spanischen“ Volkes, was als eine fremde „Besatzung“ angesehen wurde. Die erste Rubrik des Lexikonartikels wird dennoch folgendermaßen vervollständigt: „Mozarabische Kunst. Christliche Kunst Spaniens (beeinflusst durch die muslimische Kunst) während der muslimischen Besetzung.“ Als Adjektiv verwendet, wird unser Begriff in Verbindung gebracht mit der Verbreitung von Signifikanten islamischer Kultur in der christlichen Gesellschaft der nördlichen Halbinsel. Der Begriff selbst stammt im Übrigen aus dem Arabischen und bezeichnet „arabisierte“ Personen. Das ganze Interesse an der Frage um den Begriff „mozarabisch“ liegt also darin, die Grenzen der bezeichneten Gruppe herauszufinden und die Wechselwirkungen zu bestimmen, deren Mittler er zu sein scheint.
    Die Bezeichnung taucht mit dem Jahr 1024 recht spät auf, ist aber zeitgenössisch zu dem Phänomen, das es beschreibt. In einer Urkunde der Kathedrale von Léon besteht zum ersten Mal die Notwendigkeit, eine Gruppe von drei Webern, die aus al-Andalus kamen und sich auf Betreiben des Königs auf den Ländereien einer nahe der Hauptstadt gelegenen villa niederließen, von der lokalen christlichen Bevölkerung zu unterscheiden. Bis dahin wurden die aus dem Süden kommenden Einwanderer in den Quellen aus dem Norden Spaniens hispani genannt. Diese Bezeichnung stammt vom westgotischen Hispania und verweist auf die Gesamtheit der nord-iberischen Reiche. Man erkannte dabei aber an, dass sie zu großen Teilen in muslimischer Hand waren. Die Notwendigkeit, ein neues Wort zu schaffen (muzaraves auf Lateinisch) ist zum Teil die Folge einer Konfliktsituation, denn die drei genannten Weber standen in einem Gerichtsprozess gegenüber einem Kloster, das ihre Besitzungen für sich beanspruchte. Das Auftauchen einer neuen Rubrik – „arabisierte Christen“ – in Mitten der Gesellschaft zeugt auch von einer tieferen Veränderung des Horizonts: Bestätigung der Kirchen des Nordens gegenüber den durch die „Sarazenen“ „gefangenen“ Glaubensbrüder, Aneignung des Modells der Hispania deren legitimer Erbe der König von Kastilien-Léon sein wollte, Bestätigung der Latinität der Reiche des Nordens, die durch die gregorianische Kirchenreform bald noch verstärkt werden sollte. Die Eroberung Toledos durch Alfons VI. im Jahr 1086 beschleunigt dies noch und sicherte die Existenz einer „mozarabischen“ Einheit rechtlich ab, was sich vor allem durch die Bewahrung ihres Rechts (das westgotische forum iudicium), ihrer Liturgie (der vorgregorianische iberische Ritus, der ab dem Ende des Mittelalters als „mozarabisch“ bezeichnet wird) und durch den alltäglichen Gebrauch der arabischen Sprache (besonders im Notariatswesen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts). In anderen Städten, die ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von den Christen zurückerobert wurden, scheint es solche Gemeinschaften gegeben zu haben, die wahrscheinlich aus der lokalen Bevölkerung und aus Immigranten aus al-Andalus zusammengesetzt waren: Huesca, Coimbra, Saragossa, Tudela… Im Umland dieser Städte, das im 12. Jahrhundert noch von der lateinischen Kultur und Sprache beherrscht war, begann das Mozarabische sich auszubreiten – und dies geschah, bis auf den Fall Coimbras, ohne größere Spannungen. Nur Toledo, die Stadt mit der größten arabisch-lateinischen Migrationsbewegung und aktives Zentrum der Propaganda und des Kampfes gegen die Dynastien der Berber, behielt seine „Mozaraber“ dauerhaft. Nachdem im 14. Jahrhundert das Arabische aus dem täglichen Gebrauch verschwand, berief sich die Oberschicht weiterhin – und dies bis heute – auf ihre „mozarabische“ Abkunft. Der Begriff wurde aber gleichbedeutend mit dem Festhalten an der vorgregorianischen Liturgie, die 1500 von Kardinal Cisneros wieder eingeführt wurde und mit der Zugehörigkeit zur Elite der „Alten Christen“, von denen man annahm, dass sie rein von jedem Kontakt mit dem Islam seien.
    In der Vorstellung der iberischen Reiche, ist mit dem Mozarabischen die Frage nach den möglichen Überschneidungen zwischen Christentum und Islam, zwischen Latein und Arabisch verbunden. Seit dem 12. -13. Jahrhundert kommen zwei entgegengesetzte Interpretationslinie auf: würdige Erben der Westgoten, die im Widerstand gegen den Islam überdauert haben (dies ist die vorwiegend von Francisco Javier Simonet vertretene These) oder „Mixti Arabes“ (nach der Bezeichnung des Erzbischofs von Toledo, Rodrigo Ximénez de Rada), die durch den Kontakt mit dem Islam stark arabisiert und akkulturiert waren. Nach der ersten der beiden Lesarten bezeichnet „mozarabisch“ eine ganze Reihe von Phänomenen, die allen arabo-islamischen Einflüssen widerstanden, und ganz besonders die Liturgie. Die Etymologie des Wortes „mozarabisch“ erlaubt es, diese unangebrachte Verwendung des Begriffs auszuklammern: Obgleich der Begriff außerhalb eines islamischen Kontextes entstanden ist, lässt es sich vom arabischen musta’ra (arabisiert) herleiten. Die gewählte grammatikalische Form ist passivisch, so als wolle man damit einen Akkulturationsprozess bezeichnen, der sich durch die entsprechenden Umstände ergeben hat. Die aktive Form musta’rib ist in den orientalischen Quellen belegt, um, nach dem Lexikographen Ibn Manzûr (1311), „eine nicht-arabische Bevölkerung“ zu bezeichnen, „die sich in die arabische Bevölkerung eingliedert, ihre Sprache übernimmt und ihr Erscheinungsbild imitiert.“ In diese Kategorie reihen die Genealogen sowohl Ismael ein, der nach islamischer Überlieferung von seinem Vater Abraham in Mekka verlassen wurde, als auch die christlichen Ghassâniden aus den Steppengebieten am Rande Syriens. Die arabischen Quellen wenden diese Bezeichnungen aber nicht auf die dhimmi des Reichs an. Es ist also wahrscheinlich, dass die Übernahme des ersten dieser Begriffe in den Wortschatz Léons auf Initiative eben dieser Christen aus dem Süden geschah, deren gebräuchliche Sprache seit über hundert Jahren das Arabische war, die sich aber weiterhin mit einer neu-westgotischen Latinität identifizierten, die von einem Großteil der christlichen Reiche der iberischen Halbinsel geteilt wurde.
    Als arabisierte Romanen der Latinitas haben die „Mozaraber“ Kenntnisse des Dâr al-Islam besessen und weitergegeben, wie zum Beispiel die drei obengenannten Handwerker (tiraceros), die Spezialisten der andalusischen Webetechnik (tirâz) waren. Der Begriff der „mozarabischen Kunst“ erweist sich dennoch als problematisch, denn das selektive Übernehmen der islamischen Kultur in den nord-iberischen Reichen lässt sich nicht allein durch diese Vermittlung erklären. Zudem steht die Fokussierung auf die exogenen Minderheiten einem wirklichen Verständnis der Mechanismen, Modalitäten und Maßstäbe für Entlehnungen im Weg.


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  • Bibliographie

    Cyrille AILLET, 1. Oktober 2012

    Über die Verwendung der Bezeichnung „mozarabisch“

    - AILLET Cyrille, Les Mozarabes. Islamisation, arabisation et christianisme en péninsule Ibérique (IXe siècle-XIIe siècle), Madrid, 2010 (Bibliothèque de la Casa de Velázquez, 45).
    - SIMONET Francisco Javier, Historia de los mozárabes en España: deducida de los mejores y más auténti¬cos testimonios de los escritores cristianos y árabes (Madrid, Viuda é hijos de M. Tello, 1897-1903), Amsterdam, Oriental Press, 1967 (4 Bde.).
    - URVOY Dominique, «Les aspects symboliques du vocable “mozarabe”. Essai de réinterprétation», Studia Islamica, 78 (1993), S. 117-153.


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